"Meine
Sachen machen den Menschen Freude,
weil alle ein bisschen Farbe in ihrem Leben brauchen."
Ich bin in Schweden in einer kleinen Stadt nahe der norwegischen Grenze
1947 geboren. Bei uns zu Hause war es gemütlich altmodisch. Wir
haben abends alle zusammengesessen, eine meiner Großmütter
war immer zu Besuch, und alle haben etwas gehandarbeitet, das gehörte
zu unserem Leben. Es gab genug Schafwolle zum Spinnen und Stricken und
auf den Bauernhöfen ringsum wurde Leinen angebaut, das wir verwebten.
In
Schweden ist Weben eine alte Tradition; jeder hat wen in der Verwandtschaft,
der auf einem großen Webstuhl webt. In unserer Familie waren das
beide Großmütter. Sie haben uns mit Bettwäsche, Kleidungsstoffen
und Gardinen für alle Jahreszeiten versorgt. In meinen Ferien durfte
ich beim Weben helfen. Meine Großmütter und meine Mutter
haben mir Stricken, Häkeln und Sticken beigebracht. Auch mein Vater,
von Beruf Zollbeamter, war beim abendlichen Handarbeiten dabei. Er hat
Netze zum Fischen geknüpft oder Holz geschnitzt. Wir haben unser
Haus mit unseren Handarbeiten dekoriert. So ein abendliches Beisammensein
war ganz üblich in Schweden bis die Fernseher kamen, dann war Schluss.
Ich
habe den kaufmännischen Zweig der Realschule besucht und fand dann
in Göteborg eine Lehrstelle in einer Bank. In meiner Heimatstadt
gab es viel Natur und Wasser und im Sommer Touristen, aber keine Arbeitsstellen,
besonders im Winter nicht. 1966 habe ich meinen Mann kennen gelernt.
Mein Vater war nicht ganz glücklich über einen deutschen Schwiegersohn,
aber ich wollte sehr gerne nach Deutschland, ich fand das spannend.
Nach einer Weile ließ er mich ziehen. 1969 sind wir mit unserer
einjährigen Tochter nach Aachen gezogen. Ich habe mich dort schnell
eingelebt, sicher auch, weil ich Deutsch in der Schule gelernt hatte
und mich verständigen konnte. 1973 wurde mein Mann nach Süddeutschland
versetzt und da meine Tochter in den Kindergarten ging, arbeitete ich
wieder in einer Bank. 1977 wurden wir wieder versetzt, diesmal nach
Varel in Norddeutschland, anschließend nach Schwanewede bei Bremen,
dann nach Hannover. Als meinem Mann ein Angebot gemacht wurde, vorzeitig
in Ruhestand zu gehen, akzeptierte er und nahm eine Stelle in Jülich
an. Seitdem wohnen wir hier.
Während all der Jahre, zwischen
den Umzügen und dem Neueinrichten der Wohnungen habe ich für
meine Tochter und mich zwar gestrickt und gehäkelt, aber meinen
großen Wunsch, mich intensiver mit Weben zu beschäftigen,
konnte ich mir nicht erfüllen. Es war zu viel Hin und Her. Ich
hatte zwar in Varel einen großen Webstuhl gekauft, aber ich konnte
ihn nicht überall mit hinnehmen und nur begrenzt darauf arbeiten.
Jahrelang habe ich vom Weben geträumt und nachgedacht, wie ich
es umfassend lernen könnte. Jetzt endlich, fünfundvierzig
Jahre alt, konnte ich mir meinen Lebenstraum erfüllen. In unserem
Haus in Jülich konnte ich meinen Webstuhl in einem großen,
lichten Raum aufstellen und habe nun an allen Wänden Regale, in
denen viele bunte Garne lagern. In der Eifel habe ich bei einer Webmeisterin
einen Intensivkurs besucht und gelernt, eine Kette zu schären und
einen Webstuhl einzurichten. Weben ist für mich das Wichtigste
geworden, alles andere wie Häkeln, Stricken und Nähen habe
ich zur Seite geschoben, das interessiert mich eigentlich nicht mehr.
Oft
webe ich vier oder fünf Stunden am Tag. Das macht mir Freude und
deshalb strengt es mich auch nicht an. Wenn ich eine einfache Bindung
webe, ist das eine mechanische Arbeit, die entspannt und beruhigt und
schnell von der Hand geht. Wenn ich Querstreifen webe oder komplizierte
Muster, muss ich ständig nachrechnen und gedanklich dabei sein,
das dauert natürlich länger. Beim Weben gibt es immer viel
Abfall, Anfang und Ende können nicht benutzt werden. Deshalb arbeite
ich in längeren Strecken und schneide sie dann auseinander. Meine
Muster entwerfe ich selbst und daran habe ich den größten
Spaß: Das sind dann meine Kinder. Stilistisch betrachtet bin ich
eine schwedische Weberin. Ich bin beeinflusst von traditionell schwedischen
Mustern, benutze eine in Schweden übliche Grundbindung und bestelle
meine Garne dort.
Seit 1993 habe
ich genug Webstücke, um an Ausstellungen in Krauthausen und am
Jülicher Kunsthandwerkerinnenmarkt teilzunehmen. Da war ich mit
dem Problem, einen Preis zu nennen, konfrontiert. Ich habe mir die Preise
von vergleichbaren Webstücken in Schweden angesehen. Handgewebtes
ist sehr teuer, weil das Garn viel Geld kostet und der Stundenlohn hoch
ist. Ich habe mir die Materialkosten ausgerechnet und die Arbeitszeit
nach dem Stundenlohn einer Putzfrau berechnet. Davon habe ich noch ein
bisschen abgezogen, damit es nicht so teuer wird. Ich will nicht, dass
sich nur reiche Leute meine Webstücke leisten können. Meine
Sachen, das weiß ich inzwischen, machen den Menschen Freude, weil
alle ein bisschen Farbe in ihrem Leben brauchen. Weben ist in unserer
Gegend hier nicht so bekannt. Manche Leute können Handgewebtes
von maschinell Gewebtem nicht unter-scheiden und sagen mir: Das kaufe
ich lieber bei Ikea. Oder sie erkennen den Unterschied nicht zu Sachen,
die in Billigländern, womöglich von Kindern, für minimalen
Lohn hergestellt worden sind. In Deutschland kann eine Webmeisterin
vom Verkauf ihrer Sachen nicht leben, sie muss durch viele Kurse ihren
Lebensunterhalt verdienen. Zum Unterrichten habe ich aber keine Lust,
ich will selbst weben. Ich habe viele Ideen und die will ich unbedingt
umsetzen. Glücklicher-weise habe ich einen Mann, der mich in meiner
Liebe zum Weben unterstützt, mich berät und mein wichtigster
Kritiker ist. Er hilft mir auch ganz praktisch, denn wenn ich eine neue
Kette aufziehen muss, sitzt er am Kettbaum und packt mit an.
Kontakt: Barbro Borlinghaus, 0 24 61 / 5 37 84, nezual@t-online.de
|