"Mit
meiner Schauspielerei kann ich Menschen etwas geben
und
dafür nehme ich das Lampenfieber, das Lernen,
die Termine und alles in Kauf."
Geboren bin ich 1937 in einem kleinen Ort in der Nähe Berlins, also
in der DDR. Schon als Kind habe ich geschauspielert. Wenn etwas Öffentliches
zu machen war, was sowohl in der Schule als auch bei den Jungpionieren
häufig der Fall war, musste ich ran. Als das Maxim-Gorki-Theater in
Magdeburg neu eröffnet wurde, war ich die Erste, die dort gesprochen
hat. Man nannte mich damals „das Kind mit der Theatersprache“. Mich
musste man nicht lange überreden aufzutreten, ich habe das gerne gemacht,
ohne allzu großes Lampenfieber. Ein kleiner Kick, etwas Aufregung gehören
dazu, Kribbeln muss sein.
1952
flüchteten meine Eltern aus politischen Gründen in den Westen, nach
Aachen, weil dort Verwandtschaft wohnte, und ich musste natürlich mit.
Ich hätte als Kind lieber auf die mir versprochenen Apfelsinen und Bananen
verzichtet, wenn ich in meinem Kreis hätte bleiben können, aber ich
wurde nicht gefragt. Als ich hier rüber kam, war ich vierzehn Jahre
alt, also nicht mehr schulpflichtig. Ich habe eine Privathandelsschule
besucht und mich aufs Kaufmännische spezialisiert. Nach drei Jahren
kaufmännischer Ausbildung habe ich als Kontoristin in einem Bürobedarfsfachhandel
gearbeitet und fast zufällig wurde die Dekoration der Schaufenster ein
Schwerpunkt meiner Arbeit. Ich hatte in der Ostzone zu propagandistischen
Zwecken häufig große Plakate gemalt, das kam mir nun zugute. Zwei große
Unternehmen haben mir Arbeitsangebote gemacht, aber dann lernte ich
meinen Mann kennen, heiratete, bekam Kinder und blieb erst einmal zu
Hause.
Gemalt habe ich
aber weiterhin, Malen war immer meins. Ich gehöre zur Malgruppe des
Jülicher Frauennetzwerkes, besuche Malkurse der Volkshochschule und
stelle mit diesen Gruppen meine Bilder auch ab und zu aus. 1996 habe
ich mich bei der Bühne 80 vorgestellt, weil ich Kulissen malen wollte.
Die Regisseurin fragte mich, ob ich vielleicht auch selbst spielen wolle.
Sie probten Dürrenmatts Physiker. Ich habe gelesen und plötzlich sagten
alle: „Sie ist es, sie ist die Ärztin Mathilde“. Plötzlich war ich Schauspielerin,
noch dazu mit einer wirklich schwierigen Hauptrolle. Fast acht Monate
haben wir geübt. Das Lernen war hart. Wo ich ging oder stand, hatte
ich das Rollenbuch dabei. Vor der Premiere habe ich vor Aufregung hinter
der Bühne geheult. Aber ich wusste: „Die Stadthalle ist voll, die Eintrittskarten
sind verkauft. Da gibt es gar nichts, du musst jetzt raus!“ Und ich
bin raus, habe gespielt und einen ziemlich großen Erfolg und gute Kritiken
gehabt. Ab dann habe ich in Inszenierungen der Bühne 80 und des Jülicher
Märchentheaters von Katrin Geilenkirchen mitgespielt. Wenn ich mal nicht
„besetzt bin“, versuche ich, mich hinter der Bühne nützlich zu machen.
Ich brauche, um mich wohl zu fühlen, ein bisschen Stress. Wenn ich in
den Ferien Ruhe habe, tut mir alles Mögliche weh; ich werde kränker,
ich spüre Sachen, die ich sonst nicht spüre. Wenn ich spielen muss,
ist alles weg. Wenn der Bühnenvorhang aufgeht und ich hinausmuss, habe
ich ein eigenartiges Gefühl. Mir ist, als schwebte ich aus mir heraus,
ich bin gar nicht mehr ich selbst - es ist schwer zu beschreiben - ich
bin wer anders. Ich vergesse vollkommen, dass da Leute sitzen, ich spiele.
Dann nach einer Weile der Beifall.
Mit meiner Schauspielerei kann ich
Menschen etwas geben und dafür nehme ich das Lampenfieber, das Lernen,
die Termine und alles in Kauf. Denn es ist ja wirklich Arbeit. Wenn
ein Stück gefunden ist, fangen wir an zu lesen, die Rollen werden verteilt.
Dann haben wir vier Wochen Zeit, unsere Texte zu lernen, anschließend
beginnen die Proben, zunächst einmal die Woche, dann zweimal und öfter,
ein großer Zeit- und Arbeitsaufwand. Wenn mein Mann mich nicht unterstützen
würde, könnte ich das gar nicht machen. Er versucht, mich zu entlasten,
wo immer er kann. Ich muss immer etwas Kreatives machen können. Es ist
doch so: Ich koche, es wird gegessen, dann ist es weg; ich rupfe Unkraut
und es wächst nach; ich mache die Wäsche und sie wird immer wieder dreckig.
Ich mache meine Hausarbeit gerne, aber es darf nicht meine einzige Tätigkeit
sein. Ich brauche etwas, das Bestand hat. Von Auftritten und Bilderausstellungen
bleiben die Zeitungsausschnitte, die Programme, die Fotos, darin kann
ich blättern und mich an meinen Erinnerungen freuen.
Kontakt: Brigitte Claaßen, 0 24 62 / 67 81
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