"In
meinen Workshops versuche ich zu vermitteln: Es gibt auf dem Gebiet
des Strickens nicht "richtig" und "falsch", nur:
Schau genauer hin! Und dann zeige ich den Weg, dies in Strickmuster
umzusetzen, technisch, farblich, proportional."
Ich bin 1944 in einer Bombennacht im Bunker geboren. Einige Monate später
wurden in einer einzigen Nacht vier Haushalte meiner Familie in Hagen
ausgebombt aber alle hatten überlebt! Stationen des Lebens:
Zu Fuß mit mir im Kinderwagen nach Schwerte zu einem weiteren
Teil der Familie. Das Motto hieß allgemein für jeden: Überleben!
Zunächst auf dem Rumpelkammer-Dachboden hinterm Lattenverschlag,
dann in kleinen möblierten Zimmern, die uns zugewiesen wurden.
Als Vater aus dem Krieg kam, ließ sich meine Mutter scheiden.
Sie musste für uns den Lebensunterhalt verdienen. Zunächst
war's ein Leben behütet in der Großfamilie, ab meinem vierten
Lebensjahr dann alleine mit meiner Mutter in einer fremden Stadt - Nachbarinnen
sahen gelegentlich nach mir - eine besonders schwere Zeit für sie,
weil sie mich meist unbeaufsichtigt wusste. Sie ließ aber nie
einen Zweifel daran, dass wir zusammengehörten und sie mich über
alles liebte. Spielzeug? Spielzeug war alles, was ich am Wegesrand fand.
Das dekorierte ich ständig hin und her und um. Ich wurde sehr selbstständig.
Nach der Handelsschule begann ich eine kaufmännische Lehre in einer
Stricknadelfabrik. Schon nach wenigen Wochen war mir klar, dass das
Kaufmännische nicht das Richtige für mich war. Aber: "Was
man angefangen hat, macht man zu Ende", so Mutter.
Ein
Trost war für mich, dass ich Kontakte zu Wollfirmen bekam, die
mir Strickaufträge gaben. Ich hatte schon als Kind leidenschaftlich
gerne gestrickt. Weil ich kein Geld für Wolle hatte, trug ich einen
selbstgestrickten Pullover vier Wochen lang, ribbelte ihn auf, wusch
die Wolle, entwarf ein neues Muster und strickte etwas Neues. Nach der
Lehre wurde ich die "INOX-Handarbeitshilfe, die Rat und Auskunft
erteilt". Auf jeder Stricknadelverpackung wurde dafür Werbung
gemacht. Ich erhielt täglich Stapel von Post, die ich beantworten
musste. Dazu war es nötig, sich in viele unterschiedliche Handarbeitstechniken
einzuarbeiten und ich wurde Expertin im Stricken. Was diese Arbeit
betrifft war ich eigentlich am richtigen Platz, aber ich wollte "hinaus
in die Welt". Zu dieser Zeit hatte ich meinen Mann Wolfgang schon
kennen gelernt und ein Jahr später heirateten wir und gingen zusammen
nach Hamburg, dann nach Köln, weil mein Mann dort studierte. Ich
bewarb mich bei "Intergarn", der Großhandelsfirma für
Pingouin-Wolle, und sie stellten die "INOX-Handarbeitshilfe"
sofort ein. Nach zwei Jahren leitete ich die Werbeabteilung. Pressekontakte,
Werbekampagnen, große Modeschauen, die die Zeitschrift "Constanze"
veranstaltete, und Modellentwürfe machten mein Leben sehr interessant.
Als ich 1969 schwanger
wurde, habe ich meine Arbeit aufgegeben und wir zogen nach Jülich,
weil mein Mann dort angestellt war. Der Standort Jülich machte
einen familienfreundlichen Wiedereinstieg ins Berufsleben unmöglich
und die Erfahrungen aus meiner Kindheit ließen nicht zu, dass
ich parallel zum Muttersein wieder voll berufstätig würde.
Ich suchte mir kreativen Ausgleich in verschiedenen handwerklichen Projekten,
u. a. lernte ich schreinern. 1980 kauften wir ein altes Haus und bauten
es um. Das kam meinem Gestaltungsdrang entgegen, jetzt war ich in meinem
Element.
Seit
meiner Hamburger Zeit 1964 hatte ich mir angewöhnt, mir selbst
immer wieder einmal die Frage zu stellen: Wie willst du in zehn Jahren
leben, wo willst du dann sein? Diese Frage half und hilft mir immer
noch, mit dem Ablauf der Zeit umzugehen, hilft mir, ohne Panik das eigene
Älterwerden zu betrachten. Der Zehnjahreszeitraum setzt mich nicht
unter Druck. Ich mache mir jedoch die Großrichtung meiner Wünsche
und Vorstellungen deutlich. Das bietet die Chance, mein Leben ein bisschen
zu lenken, ohne verbissen zu sein. Als meine Tochter erwachsen wurde,
stellte ich mir diese Frage u. a. wieder. Mir wurde klar, dass ich ein
„neues Kind“ brauchte, dem ich meine Leidenschaft zuwenden, an das ich
mein Herz hängen könnte. Und ich wollte wieder eigenes Geld verdienen.
Ein Buch des englischen Strickdesigners Kaffe Fassett gab den endgültigen
Ausschlag. Er ist Maler und überträgt Malerei in Strickmaschen. Seine
Modellentwürfe zogen mich magisch in den Bann. Sie erfordern eine spezielle
Stricktechnik, deren Handhabung ich austüftelte, die diese Modelle ohne
Nervenzusammenbruch strickbar macht.
Nein, ich wollte keinen Laden, ich wollte eine Strickwerkstatt eröffnen,
meine Kenntnisse nutzen und weitergeben und die Entwürfe von Kaffe
Fassett und seine Ideen vom "Kreativen Stricken" verbreiten.
1987 richtete ich einen Laden ein mit den Garnen, die Kaffe Fassett
für seine Entwürfe verwendete: Rowan-Garne! Mit diesen Garnen
und außergewöhnlichen Designs stand ich als exotisches Schaf
in der Wollladen-Landschaft. Die allgemeine wirtschaftliche Talfahrt
im Wollgeschäft machte meinen Start nicht leicht. Die solidarische
Haltung meines Mannes machte mir Mut, meinen Stil konsequent zu halten.
Als
Rowan- und Kaffe Fassett-Expertin bot man mir Jahre später den
Alleinvertrieb für Deutschland an. Das hieß: Groß-
und Einzelhandel mit allem, was zu einem solchen Unternehmen gehört.
Die zahlreichen täglichen Bestellungen erfordern Einkauf, Rechnungen,
Mahnungen, Angebote schreiben, Kataloge erstellen, Übersetzungen
von Strickanleitungen, Garn- und Farbauswahl zum Beispiel für jemanden
der uns schreibt, dass er gern 1 kg Wolle in den ca. dreißig Farben
seines alten Gobelins hätte (was wir natürlich auch zusammenstellen),
Laden- und Schaukastengestaltung, inzwischen auch die der Homepage.
Ich muss Rowan auf der internationalen Fachmesse mit einem Stand repräsentieren,
muss weitere, neue Einzelhändler werben und dann beliefern. Mein
Gestaltungsdrang hat ein weites Aufgabenfeld.
1988 bot ich den ersten Workshop bei uns im Haus an. Als die Zeitschrift
„Brigitte“ darüber berichtete, meldeten sich viele Interessenten, von
Stetternich bis Japan und Australien. Die Kurse sind sehr gefragt. Ich
veranstalte davon sieben bis acht hier in Jülich und einen im Kloster
„Frauenwörth“ auf der Insel Frauenchiemsee. Diese Kurse stehen jeweils
unter einem bestimmten Thema. Sie teilen sich auf in Stricktechnik-Kurse,
zum Beispiel Stricktechniken ver-schiedener Kulturen (Fair-Isle-Strickerei
oder indianische Stricktechniken, Kniffe und Tipps) und in Kreativ-Themen
mit Inspirationen aus der afrikanischen Kunst, Bauhaus, Beduinenstickerei.
Mit Ausstellungsstücken und Kunstpostkarten illustriere ich das jeweilige
Thema. Die Vorbereitung der Kurse, beispielsweise die Beschäftigung
mit Kunstgeschichte, gehört für mich mit zu dem Schönsten! In meinen
Workshops versuche ich zu vermitteln, genauer hinzusehen und das Gesehene
in Strickmuster umzusetzen. Ich stelle Wolle in vielen Farbschattierungen
zur Verfügung. Für die Übertragung der Farben einer Kunstpostkarte in
das Medium „Wolle“ bediene ich mich verschiedener „Spiele“, u. a. der
„Klebekärtchen“. Wir suchen die passenden Farben nach der Kunstpostkarte
aus den unendlichen Wollvorräten heraus und kleben davon Fäden auf.
Dabei ist zu beachten, dass man den richtigen Farbton trifft, aber auch
die Farbintensität und die proportionale Menge dieser Farben berücksichtigt.
Mit Hilfe dieser Mittel werden Falschtöne sehr schnell sichtbar. Nach
ausführlicher Beurteilung wird ohne vorherige Zeichnung mit dem ausgesuchten
Material dann ein Muster-Patch gestrickt, dabei wird die Technik der
Vielfarbstrickerei eingeübt. Dieses Stück zeigt als Ergebnis des Workshops,
wie die TeilnehmerInnen ein Bild gesehen und wie sie es in Maschen umgesetzt
haben. Einige rahmen ihr – oft überwältigend schönes – Probestück und
hängen es als Bild an die Wand. Andere benutzen es, um in diesem Muster
dann einen Pullover zu stricken. Fazit: Mein Traum – mein „neues Kind“
- läuft! Zum Schluss stellt sich mir wieder die Frage: Wo will ich in
zehn Jahren sein?
Kontakt: Rosemarie Kaufmann, 0 24 61 / 5 47 35, www.wolleunddesign.de
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