Die ersten haben es am schwersten

Carolina D'Orsaneo, geboren 1926, ist verheiratet mit Antonio D'Orsaneo. Sie ist ihrem Mann 1958 aus Italien nach Siersdorf gefolgt. Die D'Orsaneos waren eine der ersten italienischen Familien in Deutschland.

Carolina D'Orsaneo erzählt:

Als mein Mann zur Arbeit in Deutschland war, war ich fünf Jahre mit der Familie allein in Italien. Ich habe in Polambaro gewohnt, in der Provinz Chieti. Ich habe auf dem Land gearbeitet. Wir hatten damals kleine Kinder, die ich bei der Schwiegermutter gelassen habe, während ich zur Arbeit war.

Ich war traurig zu dieser Zeit, denn ich war allein. Ich hatte zwar Vater, Mutter und andere Verwandte, aber trotzdem hat mir mein Mann sehr gefehlt.

Irgendwann kam der Tag, als ich mit den Kindern zu meinem Mann gehen sollte. 1958 kam ich nach Deutschland, in ein fremdes Land, ohne die Sprache zu verstehen und fast ohne jemanden zu kennen. Es war sehr schwer, denn ich habe kein Wort deutsch gesprochen. Oft habe ich fremde Worte gehört, aber schlimme Worte verstanden.

Auch für die Kinder war es schwer, besonders in der Schule. Der Lehrer war nicht zufrieden. Leider konnte ich den Kindern wenig helfen bei den Hausaufgaben, weil ich die Sprache auch nicht verstand.

In den ersten sechs Jahren in Deutschland hatte ich keine Arbeit. Daher konnte nicht deutsch lernen. Dann habe ich bei Philips gearbeitet, 20 Jahre lang. Auf der Arbeit konnte ich Deutsch lernen.

Das Einkaufen in Deutschland war zuerst sehr schwierig. Ich kannte viele Worte nicht. Und viele Worte waren nicht richtig, so daß die Leute mich falsch verstanden haben. Wo heute die Deutsche Bank steht, war früher der Kaufladen Krementz. Dort habe ich einmal gefragt, ich wollte Knoblauch. Das Mädchen ist rot geworden, weil sie mich nicht verstanden hat. Dann ist sie nach hinten gegangen und hat eine Kollegin geholt. Die hat mich verstanden.

Am Anfang war die Hausarbeit schwer, denn wie in Italien konnte ich hier nicht kochen: Die richtigen Lebensmittel waren nicht zu kriegen. Damals gab es gar nichts, keine Nudeln, keine Tomaten, kein Olivenöl. Und Tomatenmark gab es nur in kleinen Dosen. Nudeln haben wir dann selber gemacht. Und mein Mann ist mit anderen nach Holland zum Einkaufen gefahren. Aber am Zoll gab es Schwierigkeiten. In Italien haben wir meist mit Lammfleisch und mit Rindfleisch gekocht, nicht mit Schweinefleisch wie hier.

Mein Mann und ich, wir haben beide gearbeitet. Wir haben unser Haus gekauft, als mein Mann in Rente ging. Wir haben das Haus billiger gekriegt. Seit 1958 bis jetzt haben wir immer im gleichen Haus gelebt. Vor drei bis vier Jahren haben wir einen Garten dazugekauft.

Ich habe noch die italienische Staatsbürgerschaft. Ich habe ein Haus in Italien, das habe ich vom Vater geerbt. Aber wenn ich zurückgehe nach Italien, muß ich mit meinem Mann alleine zurück. Denn unsere Kinder sind hier. Sie haben Berufe hier und eigene Familie. Die drei Söhne sind von Beruf Glasapparatebau-Meister, Kfz-Meister und Maschinenbau-Techniker. Die Tochter hat Sekretärin gelernt.

Wir waren eine der ersten italienischen Familien hier. Außer uns gab es noch zwei andere Familien. Von der sozialen Betreuung gab es damals als Hilfe Gegenstände, ein Bett, einen Schrank, Sachen für die Küche. Sonst haben wir vom sozialen Dienst nichts gehabt. Wir waren zu früh hier, das hat es alles noch nicht gegeben. Und uns hat es keiner gesagt, darum wir haben es nicht gewußt, und so hat sich keiner um uns gekümmert. Die ersten haben es am schwersten. Aber daß ich am Anfang keine Worte verstehen konnte, das war noch schlimmer.

aufgezeichnet von Thomas Langens im Oktober 2002

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