Erinnerungen eines Siersdorfer Bergmannes, der aus Hinterpommern stammt
Horst von Malottki erzählt:
|
1925 bin ich in Hinterpommern, nicht
weit von der polnischen Grenze und auch nicht weit von Danzig, auf einem großen
bäuerlichen Anwesen geboren.
Die Vorfahren lassen sich in der Ahnenforschung einige Jahrhunderte lückenlos
bis 1500 zurückverfolgen.
Nach 8-jähriger Volkschule
wurde, wie damals dort üblich, weiter voll gearbeitet im Stall und auf
dem Feld. Daneben war es Tradition, dass einer ein Handwerk lernte, das man
auf dem Hof gut gebrauchen konnte. Mit 16 bis 18 Jahren lernte ich das Bäckerhandwerk.
1943 folgte Einberufung zum Arbeitsdienst und anschließend zum Militär.
Nach Einsatz in Italien kam ich an die Ostfront, wurde in den letzten Kriegsmonaten
in Ungarn verwundet und war in einem Lazarett in Österreich und kam dort
in amerikanische Gefangenschaft bis 1946 und die Amerikaner übergaben uns
in französische Gefangenschaft - sie hatten uns verkauft - wo wir in Nordfrankreich
bis Ende 1948 im Bergbau arbeiten mussten. Danach wurde ich entlassen aus der
Gefangenschaft und fand endlich in Niedersachsen Familienangehörige.
Dort arbeitete ich zunächst wieder in der Landwirtschaft. Über einige
Stationen der Arbeitssuche kam ich durch einen Kriegskameraden ins Jülicher
Land. Zunächst in die Landwirtschaft und ab 07.01.1952 auf "Emil Mayrisch",
vom Betriebsführer Jörrissen angelegt, d.h. eingestellt. Nach der
üblichen Einarbeitung und Anrechnung der französischen Bergbauzeit
konnte ich schon 1953 die Hauerprüfung ablegen. Interessant war der Vergleich
der sehr rückständigen und primitiven Arbeitsverhältnisse im
nordfranzösischen Bergbau mit den besseren Arbeitsbedingungen auf der modernen
Anlage "Emil Mayrisch". Ich hatte auch schon im Ledigenheim in Siersdorf
an der Bahn ein vorläufiges Zuhause gefunden. 1953 habe ich meine Verlobte
aus Niedersachsen geheiratet, denn wir konnten eine Wohnung von der Grube bekommen.
Die Arbeit lief gut und bald war ich Ortsältester im Ortsvortrieb, es folgten
Spezialarbeiten an Brückenfeldern und am Schacht.
Später konnte ich im Rahmen der Eigenheimförderung unser Haus mit
schönem Garten kaufen.
Gerne habe ich alle anfallenden Arbeiten Untertage gemacht und habe mich für meine Arbeitskameraden auch gerne eingesetzt als Vertrauensmann in der Gewerkschaft und acht Jahre im Betriebsrat. Als Mitglied der SPD bis heute war ich elf Jahre im Siersdorfer Gemeinderat und nach der kommunalen Neugliederung 1972 im Ortsausschuss als sachkundiger Bürger einige Jahre im Jugend-, Familien- und Sozialausschuss tätig. Seit 1963 bin ich Mitglied der Arbeiterwohlfahrt als ehrenamtlicher Helfer bis heute. Das Haus der offenen Tür der Arbeiterwohlfahrt habe ich mitbegründet. Im Presbyterium der ev. Kirche in Siersdorf war ich 36 Jahre. Beim Bau der ev. Kirche habe ich leitend mitgeholfen.
Am 13. Januar 1958 wurde ich ins Presbyterium der evangelischen Kirche eingeführt. Bei meiner Einführung wurde mir von Pfarrer Gursky zur Auflage gemacht, mich um die Finanzen und vor allem um die Kollekten zu kümmern. Es müsse dringend ein Gemeindezentrum in Siersdorf aufgebaut werden. Dann mußte ich das Presbyteriums-Amtsgelübde sprechen. Im gleichen Jahr wurde ich in den Gemeinderat der Kommunalgemeinde Siersdorf gewählt.
Um überhaupt eine Kirche bauen zu können, mußten im Antragsjahr 1.025 Gemeindemitglieder vorhanden sein. Wäre ich ein bis zwei Jahre später in das Presbyterium sowie in den Rat der Gemeinde gekommen, hätten wir das Gemeindezentrum nicht bauen können, mangels genügender Gemeindemitglieder. Vor allem haben wir dem damaligen Gemeindedirektor Görtz, dem CDU-Bürgermeister Jörissen, dem SPD-Bürgermeister Wolff, dem Architekten Gehrke aus Stolberg und den sechs CDU-Ratsherren sowie den vier SPD-Ratsvertretern, die doch alle sehr interessiert waren, zu verdanken, dass in Siersdorf eine evangelische Kirche gebaut wurde.
|
Ohne die Hilfe des Siersdorfer Kirchenbauvereins und wäre ich nicht durch Zufall nach Siersdorf gezogen - auf Anraten meines Kriegskameraden Willi Lingens aus Jülich, mit dem ich bis Ende 1948 in Nord-Frankreich in Kriegsgefangenschaft unter Tage war -, wäre das Gemeindezentrum nicht gebaut worden.
|
Das Kirchenkreuz in der Erlöserkirche Siersdorf wurde aus ausgesonderten Spurlatten von Schacht I der Zeche Emil Mayrisch hergestellt. Spurlatten sind Führungsschienen für die Gleitschuhe an den Förderkörben, die im Schacht rauf und runter sausen, gefertigt aus Pitchpine-Holz, einer nordamerikanischen Sumpfkiefer. Wir Bergleute sagten, dieses Holz ist fast so hart wie Eisen. Das Kreuz wurde in der Grubenschreinerei angefertigt und in der Erlöserkirche aufgehängt. Kosten: Drei Tage Urlaub, drei Flaschen Cognac sowie ein Mittagessen auf meine Kosten und des Kirchenbauvereins. Die 1,3 Morgen Bauland hat die Kirche von der Kommunalgemeinde geschenkt bekommen. Im Laufe der weiteren Jahre kamen noch Gelder herein, solange ich im Gemeinderat tätig war.
Neben einigen anderen Auszeichnungen wurde mir 1991 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Bis heute bin ich auch, seit der Vorruhestandszeit von 1979, im Senioren- und Invalidenverein.
In meiner aktiven Arbeitszeit war
ich einige Male in Urlaub zu EBV-Urlaubszielen, eine gute Sozialeinrichtung
des EBV.
Mit am meisten Freude hat mir meine Gartenarbeit gemacht, die Nachbarn haben
oft von mir Pflanzen und Ableger bekommen und am bekanntesten waren meine 2
- 3 Meter hohen Sonnenblumen.
Meine Tochter konnte zur höheren
Schule gehen, machte Abitur, studierte und arbeitet heute als Studienrätin.
Heute bin ich alleinstehend und lebe seit Anfang 2000 in der Senioren-Wohnanlage
Gut Köttenich in Aldenhoven.
aufgezeichnet von Günther Schorn im Oktober 2002