Erste
Kohlenförderung auf EMIL MAYRISCH
Vom Harz nach Aldenhoven
Heinz Bielefeldt
Herr
Josef Nawrot (84 Jahre) ist zu Besuch gekommen, um aus seinem Arbeitsleben auf
EMIL MAYRISCH zu erzählen und Fragen zu beantworten. Auf meinem Schreibtisch
liegt ein Sammelband der ehemaligen Zeitschrift des EBV „de Kull –
Berichte vom Eschweiler Bergwerks-Verein“.
Herr Nawrot blättert interessiert im Buch und deutet auf zwei Fotos: „Schacht I und Schacht II sind das. 1940 hat man mit dem Teufen von Schacht I begonnen, und ab 1947 - nach meiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft - habe ich mit Schlosser- und Sicherheitsarbeiten beim Abteufen mitgemacht – bis 1952. Ich weiß es noch ganz genau: Am 15. September 1952 wurde auf EMIL MAYRISCH die erste Kohle gefördert.“
Schacht I Schacht
II
Aus: de Kull –
Berichte vom Eschweiler Bergwerks-Verein
Es sei ein langer, schwerer Weg gewesen vom Harz bis ins Jülicher Land, erzählt Herr Nawrot und hält an einigen Stationen inne: Lehre als Schlosser und Bauschmied – Soldat im Russlandfeldzug – Heirat 1944 in Waldenburg – schwere Verwundung an der Westfront – Gefangenschaft bei der US Armee – anderthalb Jahre Lazarett – vor der Heimkehr noch einige Wochen in russischer Gefangenschaft – Aufbau einer neuen Existenz im Westen – schließlich Einstellung beim EBV.
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„Ich hatte ein Zimmer im Casino“, berichtet er, „und dort traf ich eines Abends unseren Betriebsführer auf EMIL
MAYRISCH, Herrn Jörissen. Als er hörte, dass ich ohne meine Frau im Casino wohnte, sagte er: ,Nehmen Sie doch eine Wohnung in Aldenhoven. Dort haben wir genügend Häuser für unsere Bergleute gebaut. Sprechen Sie mit Herrn Schwartmann von der ABS und berufen Sie sich auf mich.‘ Das habe ich auch getan, und eine Woche später konnte ich eine Wohnung beziehen. Das war im Frühjahr 1952. Nun ließ ich meine Frau nachkommen, und wenig später durfte auch unsere Tochter Christel im Rahmen der Familienzusammenführung aus der DDR ausreisen.“
Im Kübel runter – 600 m und mehr
Abteufen
– wie geht das? Herr Nawrot bündelt seine Erfahrungen zu einem kleinen
Fachvortrag: „Als ich beim Abteufen eingesetzt wurde, hatte man schon
eine Tiefe von 600 m erreicht. Im Kübel ging’s runter. Ein Kübel
ist ein stählernes Gefäß mit einem Volumen von 800 bis 1000
l und hat Platz für vier, fünf Mann. Bei der Seilfahrt durch den dunklen
Schacht verfolgte über Tage der Fördermaschinist auf einer Markierung,
wie tief wir waren, bremste rechtzeitig ab und setzte den Kübel langsam
und leicht auf. Wir kletterten aus dem Kübel, der etwa 1,50 m hoch war.
Später hängten wir eine Leiter ein, um Ein- und Ausstieg zu erleichtern.
Durch eine Luftleitung versorgte uns ein Kompressor mit Frischluft. Topflampen beleuchteten den Arbeitsplatz. Mit Hacken und Pressluftbohrern wurde die Teufe vorangetrieben. Geschossen wurde selbstverständlich nur, wenn keine Leute unten waren. Die Berge füllten wir in den Kübel. Später nahmen wir einen Greifer zur Hilfe, mit dem wir schnell die Berge laden konnten. Beim Abteufen mussten wir uns auch durch Fließsand vorarbeiten. Um durch solche Schichten voran zu kommen, wandte man ein Gefrierverfahren an. Im Abstand von zwei Metern wurden Löcher gebohrt und mit Ammoniak gefüllt. Kompressoren brachten die Flüssigkeit zum Gefrieren und festigten die Fließsandschichten.
Drei Kübel fuhren auf- und abwärts durch den Schacht, zwei für die Arbeitskolonnen, einer für den Abraum. Während der Seilfahrt verschlossen zwei große Klappdeckel den Schacht, der einen Durchmesser von 8 m einnahm. Er wurde durch Mauerwerk befestigt und mit Stahlringen – sog. Tübbingen – ausgebaut. Danach betrug der lichte Durchmesser 7,30 m und teilweise nur noch 6,50 m. Sicherheit stand ganz oben an. Ich war zum Beispiel für die Seilkontrollen zuständig.
Auf der letzten Sohle wurde
das Füllort zum Querschlag ausgesetzt und in Ziegelsteinen ausgebaut. Es
entstanden die vorwiegend mit Stahlbögen abgestützten Hauptstrecken.
Auf EMIL MAYRISCH gab es fünf Hauptstrecken. Sie führten nach Süden,
Westen, Nordwesten, Osten und Norden. Von den Hauptstrecken wurden in den Flözen
die Kopf- und Bandstrecken aufgefahren. Hier zweigten die Strebe ab.
Während Schacht I entstand, wurde auch Schacht II abgeteuft. Beide Schächte
waren für die Förderung und Wetterführung wichtig. Ein Schacht
war einziehend, der zweite ausziehend. So strömte Frischluft unter Tage
ein und verbrauchte Luft nach über Tage ab.
Im Laufe der Jahre sind wir im Schacht I bis 710 m und im Schacht II bis 860 m vorgedrungen. Blindschächte erreichten Tiefen über 1 000 m. Unter der letzten Sohle der Schächte befanden sich der Schachtsumpf und Sumpfstrecken. Hier sammelte sich das zulaufende Wasser und wurde zu Tage gepumpt.“ Jetzt fällt Herrn Nawrot eine schwierige Situation ein, die durch einen Wassereinbruch verursacht worden war. „Das erzählt Ihnen besser Herr Walter Ruch. Er hat damals dafür gesorgt, dass Schacht II nicht abgesoffen ist ....“
Mit einem Hämmerchen gegen Wassereinbruch
Am nächsten Tag bei Herrn Walter Ruch (80 Jahre). Ich höre zu, wie er und Herr Nawrot Erinnerungen an die bedrohliche Lage und deren Lösung wecken.
Herr
Ruch:
„Ja, das war ein Menge Wasser, die damals in den Schacht strömte.
An Weiterarbeit war nicht zu denken.“
Herr Nawrot:
„Zwei Schichten mussten geopfert werden, bis wir wieder anfahren konnten.“
Herr Ruch:
„Eine große Pumpe wurde auf der Sohle bei 860 m eingesetzt. Die
sollte das Wasser bis zur Zwischenstation hoch pumpen.“
Herr Nawrot:
„Aber das klappte und klappte nicht. Durch den starken Druck klemmte der
Schwimmer. Ein neues Steuerungsgerät musste her, doch so schnell konnte
man das Ersatzteil nicht besorgen. Was tun? Wir haben hin und her probiert und
schließlich eine Lösung ausbaldowert. Erzähl mal, Walter.“
Herr Ruch:
„Wenn die Pumpe stockte, schlug ich mit einem kleinen Hammer gegen das
Rohr. Durch die Erschütterung löste sich der Schwimmer wieder.“
Herr
Nawrot:
„So einfach. Ein Hämmerchen war die Lösung. Ich höre heute
noch: ,Peng!‘ und nach einer Weile: ,Peng!‘ und wieder: ,Peng!‘
– Stunde um Stunde.“
Herr Ruch:
„Ja, die ganz Schicht über. Es war an einem Sonntag. Ich hatte diese
Extraschicht übernommen.“
Herr Nawrot:
„Aus einem Brett und Holzstempeln haben wir dir eine Bank gezimmert. Und
da hast du gesessen, allein im Schacht, 860 m tief. Und immer ,Peng! –
Peng! Peng!‘, 12 Stunden lang.“
Herr Ruch:
„Und es hat funktioniert.“
Herr Nawrot:
„Wenn nicht, hätten wir montags festgestellt, dass im Schacht Wasser
stand - 20 m und mehr. Aber durch dein Hämmerchen ist der Schacht nicht
abgesoffen.“
Herr Ruch: (lachend)
„Stimmt.“
Wer hätte das gedacht?
Wieder an meinem Schreibtisch. Herr Nawrot greift zum Sammelband „de Kull“ und betrachtet ein Foto.
Aus: de Kull –
Berichte vom Eschweiler Bergmanns-Verein
„So sah es in der fünfziger Jahren in Siersdorf aus. Von weitem erblickte man den Beton- Förderturm von Schacht II – ein stolzes Bauwerk, das Fortschritt und Wohlstand bezeugte. Wer hätte damals gedacht, dass nur wenige Jahrzehnte später dieses selbstbewußte Symbol gesprengt würde ...“
festgehalten von Heinz Bielefeldt im Januar 2003