Wirtschaftliche Nachrichten, 6/ 2001:

 

Modellprojekt der Stadt Jülich: "Senioren ins Netz"

Lernen, was die Enkel schon lange können

"Senioren ins Netz" heißt ein Modellprojekt, das die Stadt Jülich am 1. Juni 2000 gestartet hat. "Senioren ins Netz" will Menschen über 55 Jahren nicht nur den Umgang mit dem Computer vermitteln, oder Ängste vor dem "worldwideweb" abbauen. Die Ziele sind höher gesteckt: Gemeinsam mit fünf Partnern im Nordkreis sollen bis Juni 2003 neue Impulse in der Seniorenarbeit gesetzt und generationsübergreifend realisiert werden. In dieser Form ist das Projekt einmalig in NRW. Dies kann aus Sicht der Wirtschaft nur begrüßt werden: Nur wer online kommuniziert, nutzt auch die Möglichkeiten des E-Commerce.

Jeden Mittwoch macht sich der 71-jährige Eberhard Ertel auf zur "Dachsteinhütte". Er ist einer von fünf Senioren, die seit Anfang Mai in der Jülicher Merkatorstraße "Internet für Fortgeschrittene" belegt haben. Für den pensionierten Kriminalbeamten lag der Nutzen von "Senioren ins Netz" auf der Hand: "Der Computer bestimmt heute unser Leben, und das wird noch mehr werden." Beruflich hatte er zwar mit dem Computer zu tun, aber nur indirekt: "Ich wollte lernen, wie man ihn selbst bedient." Letztes Jahr hat ihm ein Einführungskurs Grundlagen vermittelt. Jetzt vertieft er sie. Der gebürtige Hamburger, der bereits seit Anfang der 50er Jahre in Jülich lebt, hat zwar selbst keinen Computer, kann aber den seines Sohnes oder die Geräte seiner Brüder nutzen. Etwa, um seiner Tochter in Kanada eine E-Mail zu schicken oder mit anderen Internetnutzern zu "chatten" - das heißt, sich über den Computer zu unterhalten.

Höhere Ansprüche an die dritte Lebensphase

Federführend bei "Senioren ins Netz" ist Katarina Esser, bei der Stadt Jülich mit dem Ressort "Sozialplanung" betraut, das auch den Bereich "Altenhilfeplanung" umfasst. Ausgangspunkt waren die geänderten Lebensbedingungen für Senioren in ländlichen Gebieten: "Auch hier leben inzwischen immer mehr Senioren alleine. Gleichzeitig liegt eine bessere Ausbildung hinter ihnen. Sie haben andere Ansprüche an die dritte Lebensphase." Dies sei auch den Trägern der Seniorenarbeit vor Ort nicht verborgen geblieben: "Ihre Angebote wurden eher von Hochbetagten genutzt." Weil die neuen Senioren tatsächlich von ihrer Freizeit mehr erwarten als Kaffee-und-Kuchen bei Volkslieder singen, stieß Katarina Esser auf offene Ohren. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO), Ortsverband Jülich, das Alten- und Pflegezentrum St. Hildegard und der Gemeinnützige Bauverein Jülich e. G., das Evangelische Gemeindezentrum Aldenhoven, das Katholische Gemeindezentrum St. Martinus in Linnich und das Katholische Gemeindezentrum St. Kornelius in Titz-Rödingen konnten als Partner gewonnen werden. Rat und Land teilen sich die Finanzierung: 80 Prozent der Fördergelder stammen aus Landesmitteln, den Rest tragen die Stadt Jülich und Sponsoren.

Jede Woche 100 Besucher

"Senioren ins Netz" umfasst zwei Dimensionen: Zum einen ist das Projekt im Internet unter www.juelich.de/senioreninsnetz präsent. Die Homepage, die von Projektleiter Thomas Langens betreut wird, ist ansprechend und übersichtlich gestaltet. Nutzer finden hier Informationen zur Geschichte des Projekts und zu Kursen, Hilfestellung für den Umgang mit dem Internet, die Möglichkeit, zu chatten, ein Gästebuch, Querverweise, Pressestimmen und vieles mehr. Pro Woche hat die Homepage rund 100 Besucher. Zum anderen sind die fünf Träger direkte Anlaufstellen vor Ort. Vier Dozenten bieten Informationsveranstaltungen zu Themen wie "E-Mail" oder "Homebanking" und offene "Schnupperkurse" für einen ersten unverbindlichen Einblick in die Computerwelt. Bei Interesse können mehrteilige Anfänger- oder Fortgeschrittenen-Kurse belegt werden, so genannte "Surf-Treffs" sind offen für alle.

Treffen der Generationen macht Fortschritte

Seit Juni 2000 sind bereits über 500 Männer und Frauen im Alter von 55 bis 84 Jahren "drin". Fortschritte macht auch das Treffen der Generationen, wie das "Gästebuch" belegt: "Ich bin sehr erfreut, dass ältere Leute sich für das Netz interessieren ..."

Ist der Anfang gemacht, wächst die Lust auf mehr. So wie bei Renate Werner (71) aus Jülich. "Entweder du verpasst den Anschluss oder du machst mit", hat sie sich anfangs gesagt. Inzwischen weiß die ehemalige Musikschullehrerin, dass das Mitmachen ihr sehr gefällt: "Jetzt will ich den nächsten Kurs belegen." Ob sie danach den Computer ihrer Tochter übernimmt, weiß sie noch nicht: "Das muss ich mir erst überlegen. Ich war mein Leben lang unabhängig." Auf Medienanbindung rund um die Uhr haben junge Senioren im Zeitalter von "Big Brother" nicht unbedingt Lust. Sus

zurück zum Presse-Überblick

Logo der Stadt Jülich Senioren ins Netz ist ein Projekt der Stadt Jülich.